

(Bildrechte: dpa)
Der eigentliche Grund für Brandts Reise nach Polen war allerdings nicht das Totengedenken, sondern der Warschauer Vertrag, der unterzeichnet werden sollte. So hielt Brandt 1989 auch fest, dass der Kniefall nicht geplant gewesen sei. „Ich hatte nichts geplant, aber [… a]m Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“ Als der Kanzler vor der Vertragsunterzeichnung zum Ehrenmal für die im Warschauer Ghetto ermordeten Juden fuhr und dort dann schweigend und verharrend zu Boden kniete, wurde es auf einmal ganz still. Die spontane Geste wurde als einzigartig und beeindruckend empfunden.
Neue Ostpolitik Brandts
Dabei war alleine die Ankunft Willy Brandts in Warschau bereits ein herausragendes Ereignis: Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte kein einziger deutscher Bundeskanzler mehr polnisches Territorium betreten. Nach rund 25 Jahren kamen nun Willy Brandt und sein Außenminister Walter Scheel (FDP) zu einem Staatsbesuch nach Polen, um den Warschauer Vertrag zu unterzeichnen. Ziel war die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen im Rahmen der sogenannten „Neuen Ostpolitik“. Brandt übernahm Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen und versuchte ein Zeichen gegen den Fanatismus und die Unterdrückung der Menschenrechte zu setzen.
Der Kniefall war allerdings keineswegs unumstritten, er berührte und wurde kritisiert. Brandts „Neue Ostpolitik“, in deren Rahmen die sozialliberale Koalition unter Brandt und Scheel einen „Wandel durch Annäherung“ anstrebte, wurde kontrovers diskutiert. Einer der größten Streitpunkte war die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als westliche Grenze Polens. Während die Regierungen unter der CDU bis zum Regierungsantritt Willy Brandts im Oktober 1969 mehrheitlich kein Interesse an einer Aufgabe der alten deutschen Ostgrenze von 1937 hatten, sprachen sich die SPD und FDP für die „Anerkennung bzw. Respektierung der Oder-Neiße-Linie bis zur friedlichen Regelung“ aus.
Warschauer Vertrag – Bestätigung der Oder-Neiße-Grenze
Nach der Kranzniederlegung wurde der Warschauer Vertrag unterzeichnet, der von nun an die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen bekräftigte. Die Oder-Neiße-Linie wurde als die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen definiert und man verzichtete gegenseitig auf territoriale Ansprüche sowie auf die Androhung und Anwendung von Gewalt. Der polnische Ministerrat Józef Cyrankiewicz ging sogar so weit zu sagen, dass der Vertrag „nur auf dieser Basis der Anerkennung der Unanwendbarkeit […] der […] Grenzen Polens an der Oder und Lausitze Neiße“ möglich geworden sei. Die Befürworter einer Annäherungspolitik sprachen sich für die Anerkennung der politischen Realitäten in Europa aus und standen hinter Brandts Ostpolitik und dem Kniefall. Die Kritiker hingegen, darunter vor allem die CDU/CSU-Opposition und die Vertriebenenverbände, sprachen von „Verzichtspolitik“ und „dem Ausverkauf der deutschen Interessen“.
Entspannung & Friedensnobelpreis für Brandt
Willy Brandt ging aber selbst der Warschauer Vertrag nicht weit genug. „Die Politik meiner Regierung erstrebt eine wirksame Entspannung in Europa, vor allem in der Mitte Europas.“ Dazu gehöre der deutsch-sowjetische Moskauer Vertrag, der bereits im Oktober 1970 die bestehenden Grenzen Europas anerkannt hatte und überhaupt erst die Grundlage für weitere deutsche Ostverträge legte, nun auch der Warschauer Vertrag und darüber hinaus benötige man ebenso Verträge mit der Tschechoslowakei und mit der DDR.
Am Ende setzte sich Willy Brandt durch. Bereits im Herbst 1971 erhielt er für seine Ostpolitik und den Kniefall den Friedensnobelpreis, im Mai 1972 ratifizierte auch der Bundestag den Warschauer Vertrag und im November 1972 ging die sozialliberale Koalition aus den Neuwahlen sogar gestärkt hervor.
Der Kniefall von Warschau wurde in der ganzen Welt zur Kenntnis genommen und ist bis heute ein Symbol der friedensorientierten Aussöhnung. Das Ereignis war, ist und bleibt des Erinnerns Wert.
Der niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Axel Brammer äußerte sich anlässlich des Jahrestages wie folgt: „Gerade vor dem aktuellen Hintergrund des Bundestagsbeschlusses über den Einsatz der Bundeswehr in Syrien sollte sich besonders die SPD wieder einmal Gedanken über ihre eigene Geschichte machen und z.B. an den Kniefall und Willy Brandts Ostpolitik des Wandels und der Annäherung denken. Die Partei hat eine bemerkenswerte Historie und ich wünsche mir insbesondere auf Bundesebene wieder Politiker, die sich unserer Vergangenheit bewusst sind und höhere Friedensideale vertreten.“